Die von den einzelnen Autoren veröffentlichten Texte geben ausschließlich deren Meinung wieder und nicht die der bearbeitenden Redaktionen und Veröffentlichungsplattformen
Autor: Simon Jacob
Ort: Washington, USA
Format: Text
Thema: Gesellschaft
Datum: 01.02.2020
Portal: www.oannesjournalism.com
Textdauer: 5 Min.
Sprache: Deutsch
Titel: Ankunft in Washington
Washington D.C, Lincoln Memorial
Ankunft in Washington
Der zivilisatorische Ursprung der Menschheit nahm seinen Anfang in Mesopotamien - dem Zweistromland, welches meine ethnische Heimat ist. Die Region im heutigen Irak, Nordsyrien, Südosttürkei und Iran markiert den Beginn der Supermächte, die sich in schonungslosen Kriegen bekämpften und das eine Imperium verdrängten, um aus der Asche des Feindes und auf dem Altar der Vernichtung nur eine weitere Supermacht aufsteigen zu sehen, die wiederum, in weiteren verheerenden und erbarmungslosen Konflikten, dem nächsten sich formierenden Imperium zum Opfer fiel.
Mit dem Aufstieg des sumerischen Reiches und mit der Forcierung technologischer Entwicklungen in Kriegen, begann sich eine Zivilisation zu entwickeln, die Licht und Schatten zugleich bedeutete. Licht, weil der Mensch mitsamt seines Intellekts, Verstandes und Erfinderreichtums sich die Welt untertan machte. Doch geschah all dies zu einem hohen Preis. Dem Imperium der Assyrer, welches sich mehrfach ausdehnte, folgten die Perser, die wiederum von den Griechen abgelöst wurden. Das Römische Imperium, Vorbild für Hitlers Drittes Reich, markierte seinerzeit den Superlativ der Macht in der bekannten Welt. In allen Imperien die es gab, bis hin zum Zusammenbruch des bipolaren Machtverhältnisses zwischen den USA und der Sowjetunion, gab es regionale Konflikte, die durch verschiedene Faktoren ausgelöst wurden und die zum Teil bis heute, so z.B. im Nahen Osten, bestehen. Zentrum der Auseinandersetzungen war und ist immer die Identität einer Gruppe, deren Prägung sich aus verschiedenen Faktoren wie Abstammung, Sprache, Religion und Tradition zusammensetzt. Toxisch und hochgradig konfliktreich wurden die Konflikte erst, wenn die jeweilige Supermacht versuchte, vermeintlich schwächere Gegner, Besiegte, Minderheiten, die eine parallele Identität aufwiesen und bis heute aufweisen, zu assimilieren. Gelang dies nicht, folgten die Deportation und die Umverteilung in die entlegensten Gegenden des Reiches. Mit dem Ziel verbunden, dass eine Vermischung mit der vorherrschenden Bevölkerung stattfindet, um die eine „Identität“ auszulöschen und eine neue, homogene Gesellschaften entstehen zu lassen. In den meisten Fällen fand dies unter Zwang statt und die Methoden der Assyrer, der Römer wie auch der Machthaber in der Sowjetunion unterschieden sich nicht voneinander. Scheiterte auch die aufgezwungene Integration in die Werte und Normen der jeweiligen „Supermacht“, folgte meist eine genozidale Handlungsweise. Gerechtfertigt mit der Begründung, dass es sich um einen inneren Feind handeln würde, welcher, unter dem Aspekt des asymmetrischen Krieges bzw. der Strategie des Terrors, das Imperium bedrohen würde. So z.B. geschehen zwischen 1915 und 1918 im Osmanischen Reich, als Millionen Armenier, Assyrer, Aramäer und Chaldäer, besonders im Zusammenhang mit ihrem christlichen Glauben, welcher als identitätsstiftendes Merkmal zu betrachten ist, fast vollständig vernichtet wurden. In erster Linie war es die Religion der genannten Ethnien, die Anlass zur Sorge war, dass man dem damaligen Feind des Osmanischen Reiches, in diesem Fall das christlich-orthodoxe Zarenreich, die Treue halten würde. Dies alles spiegelte die augenscheinlich konfessionelle Färbung eines Krieges, wie es auch heute noch der Fall ist. Während dieser Zeit wurden 90 % meiner Familie vernichtet. Ich bin mit dem Gedanken und dem Wissen aufgewachsen, dass ein Imperium meine Ethnie vernichten wollte, weil sich diese schlichtweg weigerte dem vordiktierten Einheitsdenken, kumuliert in Religion, Sprache und Tradition, zu beugen. Und allein diese Tatsache, dass innerhalb einer allen Bürgern aufgezwungenen Norm es nur zwei Optionen gibt, nämlich die vollständige Assimilation oder totale Vernichtung, führte und führt weiterhin dazu, dass keine Supermacht dieser Welt, auch keine Regionalmacht, von Dauer sein wird. Mit einer Ausnahme:
Am 11. September 2001, es war ein heißer Sommernachmittag, vernahm ich auf dem Weg zu meinem Büro im örtlichen Radiosender eine Nachricht, deren Sprengkraft und Irrsinn ich zunächst keinen Glauben schenkte, weil ich es schlichtweg nicht für möglich hielt. Tief in Gedanken versunken und immer noch damit beschäftigt das im Radio Vernommene zu verarbeiten und der Meldung Glauben zu schenken, schaltete ich Zuhause angekommen den Fernseher ein. Und egal welchen Sender ich wählte, selbst den damals äußerst populären Jugendsender M-TV, sah ich überall die gleichen Bilder. Brennende Türme, verzweifelte Menschen, die sich wiederholenden Bilder von Flugzeugen, die in die Twin Towers rasten und eine sich ausbreitende Stille, die selbst für mich im beschaulichen Europa so intensiv war. Ich verstand, dass den Ereignissen dieses Tages ein Sturm folgen würde, welcher die Welt für immer verändern sollte.
Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten - Vietnamkrieg - Washington D. C.
Denn an diesem Tag wurde die letzte Supermacht, die heute noch Bestand hat, angegriffen und es formierte sich eine neue Macht, ohne zusammenhängendes territoriales Imperium, die die USA, und mit dieser die gesamte westliche Welt, herausforderte. Mit 9/11 begab sich zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit, bedingt durch Globalisierung und Digitalisierung, die eine Art des Denkens, vorwiegend in einer non-islamischen und vom Kapital geprägten Welt, in einen multiplen asymmetrischen Krieg mit allen jenen, die befürchteten „zwangsassimiliert“ zu werden. Und all jenen, die um Jobs kämpfen, die Anerkennung ihrer Sprache und ihre Tradition im Denken fordern. Dies in einer Ohnmacht gegenüber der letzten verbliebenen Supermacht USA und im Glauben, das Seelenheil im terroristischen Krieg, mit der Religion als gemeinsamen Faktor der „Unterdrückten“, „der Vernachlässigten“, der Gefolterten, der ungerecht Behandelten, zu finden.
Dabei, und das ist das Tragische, verkennen beide Seiten, dass es nur einen Weg gibt, um aus der Spirale der Gewalt auszubrechen. Ausgehend von den Erfolgen der Demokratie nach amerikanischem Vorbild, allgemein als PAX – Amerika bekannt, die nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland, Japan und Südkorea Wohlstand, auch aus einem persönlichen Interesse heraus, bescherte. Verbunden mit allgemein gültigen Bürgerrechten und eben ohne Zwang sich assimilieren zu müssen, geprägt durch die Diversität einer Gesellschaft und bestrebt dem Individuum so viel Freiheit wie möglich zu gewährten, immigrierten meine Eltern einst in diesen kulturellen Werteraum, der auch Sicherheit und Frieden bedeutete. Einem Raum, in dem sich der Mensch mit seiner Identität nicht bedroht fühlt, verbunden mit Perspektiven für sich und die Nachkommen. Doch liegen die USA, getrennt durch einen riesigen Ozean, den ich gerade auf meinem Wege Richtung Washington D.C. überfliege, falsch, wenn sie der Überzeugung sind, dass sich die Demokratisierung des Nahen Ostens mit seinem schier unerschöpflichen Ölreichtum ähnlich vollbringen lässt, wie dies in Deutschland, Japan oder Südkorea der Fall war. Vietnam, Afghanistan wie auch der heutige Irak sind Beispiele dafür, dass dem nicht so ist. Und all diese Länder haben die Gemeinsamkeit, dass das innere Verhältnis zwischen den ethnischen und religiösen Schichten bereits vorher keinen Frieden, keine Einheit zuließ. Einst formte der Krieg gegen Napoleon III das heutige Deutschland. Japan wurde geeint durch die Macht der Shogune und einem äußeren Feind. Es gab eine Basis, die in den gemeinsamen Werten wie Religion, Sprache und Tradition Akzeptanz fand. Zumindest im Irak wie auch in Afghanistan ist dies nicht der Fall. Und selbst in den USA ist diese innere Einheit, die so bedeutend ist, oftmals nicht zu finden. Dies allerdings ist auch Bestandteil einer freien Gesellschaft, die „freiwillig“ und ohne Zwang „einig“ oder „uneinig“ ist.
Gedenktafel - Namen der gefallenen Soldaten - Vietnamkrieg - Washington D. C.
Und dennoch… dennoch brauchen wir die USA als Supermacht in einer Welt, in der das Schicksal des Individuums, Religionsfreiheit, Gleichheit der Geschlechter, Meinungs- und Pressefreiheit, Bürgerrechte, gefährdeter sind als jemals zu vor. Autokratische Systeme, die Schwache unterdrücken, führen unweigerlich zu Konflikten mit all dem Leid und Terror, welcher damit verbunden ist. Fake News und die unkontrollierte Verbreitung populistischer und hasstriefender Töne spalten gezielt die Gesellschaft und verstärken diesen, die demokratische Gesellschaft zersetzenden, Prozess zusätzlich.
Das Schicksal aller Menschen, die eine Chance haben wollen in einer freien Welt zu leben, in der sie nicht gezwungen werden die eigene Identität zum Machterhalt einer Elite aufzugeben, ist eng miteinander verwoben. Dies gilt primär für alle Demokratien dieser Welt, aber auch für all jene, die nach individueller Freiheit suchen. Im Besonderen für die Frau, die immer noch in einem beachtlichen Teil der Welt aufgrund ihres Geschlechtes als Mensch zweiter Klasse wahrgenommen und auch so behandelt wird. Schließlich war sie es, die mit Beginn der Französischen Revolution den Menschen, unabhängig des Geschlechts, in den Mittelpunkt stellte und damit nicht nur sich, sondern auch den einfachen Bürger, aus der Knechtschaft der Autokratie und des Patriarchats befreite. Gerade dieser Diskurs, der weniger feministischer als mehr freiheitlicher Natur ist, kann den Nahen Osten verändern und, auf seine eigene kulturelle und spirituelle Art, demokratisieren. Es ist eben jene fundamentale Entwicklung, die auch ohne Kriege entsprechende Prozesse anstoßen und mit dem traditionell männlich dominierten Systemen einer Stammeskultur, die der Nahe Osten nun einmal hat, brechen könnte.
Schlussendlich mache ich mich auf Einladung des amerikanischen Steuerzahlers auf den Weg in die USA, um am IVLP – International Visitor Leadership Program teilzunehmen, um begreifen zu können, weshalb sich die Vereinigten Staaten von Amerika vom kulturellen, humanistischen und philosophischen Denken westlicher Prägung losgesagt haben. Aber vielleicht irre ich mich ja auch und der Slogan „America first“ ist nur der Tatsache geschuldet, dass ich Amerika erst noch verstehen muss.
Fast hätte ich diese Chance nicht wahrnehmen können, weil ich als Journalist der Demokratie, den Menschenrechten und der Freiheit des Individuums verpflichtet, zu oft die Länder des Nahen Ostens bereist habe. Ironischerweise hätte mich der Einsatz für die Förderung eben jener Rechte, die den Kern der westlichen Welt mit ihrem freien Diskurs bilden und mich zum Feindbild mancher Extremisten machen, fast daran gehindert, in die Vereinigten Staaten von Amerika einreisen zu dürfen.
Aber eben nur fast…
Simon Jacob,
1. Februar 2020, IVLP
Washington D.C.
Vorträge – Oannes Consulting GmbH bietet verschiedene Vortragsreihen an, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigten. Hier geht es zum Vortragsportal
Anfragen sind zu richten an: Oannes Consulting GmbH, Frau Daniela Hofmann, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg, Tel. 089 24 88 300 50, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!