Die Wahlen in Israel – eine Analyse der deutschen Analysen
Am 09.04.2019 wählte die einzige Demokratie des Nahen Ostens ein neues Parlament. Anhand dieses Wortwahl ist schnell klar, dass es sich um dieses spezielle Land handelt, welches zwischen arabischen Diktaturen, islamistischen Terrorbanden und zerfallenden Staaten eine Insel des westlichen Standards darstellt – Israel.
Nun sind die Wahlen gelaufen und Premierminister Benjamin (im Volksmund Bibi genannt) Netanjahu hat es erneut geschafft seinen Posten zu halten, womit er den Rekord des Gründervaters David Ben-Gurion als langjähriger Premier gebrochen hat.
Netanjahus Sieg gefiel nicht jedem, besonders nicht der deutschen Medienwelt. „Der ewige Netanjahu“, schrieb u.a die Frankfurter Rundschau. Deutsche Medien beklagten Netanjahus Erfolg als einen Sieg der schlimmsten Rechtsradikalen, sogar ein Vergleich zur „Identitäten Bewegung“ ist gefallen.
Durch solche Schlagzeilen wurden „Prognosen“ bestärkt, wonach Israelis tendenziell rechts wählen und rechte Parteien Israel aus der Demokratie in eine Art „Führerstaat“, mit Bibi Netanjahu an der Spitze, transformieren wollen. Als Grund für diesen „Rechtsruck“ wurde häufig ganz allein Bibi Netanjahus aggressiver Rhetorik genannt. Tatsächlich ist es so, dass der Premier mit einer harten und deutlichen Sprache nicht geizt. Am Vorabend der Wahlen hatte er eine Annexion von Judäa und Samaria (seit 1948 benutzt man den Begriff „Westjordanland“, nachdem das Gebiet durch Jordanien besetzt wurde) in Aussicht gestellt. Und sein Hauptherausforderer, der ehemalige General Benny Gantz? Laut europäischen, vorrangig deutschen Medien sollte die Wahl eine Wahl zwischen Links und Rechts werden. Doch stimmt das wirklich?
Benny Gantz wurde zum Spitzenkandidaten des neugegründeten Bündnisses „Kahol we Lawan“, zu Deutsch „Blau und Weiß“, wie die Farben der israelischen Flagge, ernannt und überholte Bibi Netanjahu schnell in den Umfragen. Als ein klar linkes Bündnis hatten sie sich aber nie bezeichnet! Ganz im Gegenteil, Gantz und seine Partner, darunter der ehemalige Finanzminister Yair Lapid, positionierten sich klar in der politischen Mitte, um jeglichen politischen Graben zu schließen.
Was ging also schief?
Nun wurde es spannend! Gantz sprach wichtige Themen an, welche den Diskurs genauso stark bestimmen wie bei uns in Deutschland, nämlich bezahltes Wohnen, Preise und soziales Leben! Die Region Tel Aviv ist für junge Familien unbewohnbar und die enormen Preise steigen weiter an.
Die Wohnungsnot in Israel ist eines der brandheißen Themen seit einigen Jahren. Dieses Problem konnte Netanjahu bislang nicht lösen. Es ist gerade dieser Punkt, der die israelische Gesellschaft belastet, weit mehr als der ewige Konflikt mit den arabischen Nachbarn, darunter mit den Palästinensern.
Benny Gantz wollte aus seiner militärischen Erfahrung Gewinn schöpfen und sprach natürlich das Thema innere Sicherheit an. In Hinblick auf möglich Konflikte mit dem Iran und seinen gesteuerten palästinensischen Terrorbanden warnte er ihn, sprich Gantz, nicht zu unterschätzen. Von einer Räumung der jüdischen Siedlungen in Judea und Samaria war auch bei Gantz keine Rede.
Auf diesem Gebiet bewies sich allerdings Netanjahu, insgesamt 13 Jahre an der Spitze, bislang als Garant für Stabilität, mal mehr mal weniger. Zudem ist Israel eine der führenden Industrienationen der Welt. Auch hat Netanjahus diplomatische Offensive in Afrika, Asien und Lateinamerika Früchte getragen. Von der Anerkennung Jerusalems und der Golanhöhen als Teile Israels durch die US-Regierung ganz zu schweigen. Es standen sich also Fakten und Wunsch gegenüber.
Israelis reden Klartext!
Hört man sich die Reden einiger Spitzenpolitiker in Deutschland von Anfang bis Ende an, so sollte man sich Zeit nehmen und nochmal darüber nachdenken, was eigentlich konkretes in diesen Reden gesagt wird. Lange, verschachtelte Sätze mögen intelligent klingen, aber vom Inhalt bleibt nicht immer viel übrig. In Israel spricht man dagegen lieber Tachles! Klar und deutlich soll die Aussage oder Rede kommen, ohne wenn und aber. Und genau das kann Netanjahu-Tachles! Selbst wenn er am Ende aller Tage keine Annexion von Gebieten in Judäa und Samaria, respektive Westbank, durchführt, so hat er durch diese Aussage seine Position klar gemacht. Benny Ganzt, ein Neuling auf der politischen Bühne, bemühte sich in seinen Reden, doch schnell kam die Frage auf, wo und welche Positionen will er einnehmen, gerade wenn er weder links noch rechts sein möchte. Problematischer wurde für ihn sein Bündnispartner Lapid. Der liberale Ex-Journalist ist bekannt als Hassfigur streng religiöser Juden, weil er sich deutlich für eine Beteiligung dieser am Armeedienst ausspricht. Leider hat nur der Historiker Michael Wolffsohn diesen Aspekt in seiner Analyse bei der „BILD“-Zeitung eingebaut.
Außerhalb dieser Thematik konnte man Lapids Politik nur schwer greifen. Sicherheit für Israel und die jüdische Siedler in der Westbank? Ja sicher! Ein palästinensischer Staat als Nachbar von Israel? Ja sicher! Wie geht beides zusammen? Yair Lapids Position- Unklar!
Als Gantz, Lapid und ihre Mitstreiter beschlossen Netanjahu zu beerben, so forderte Lapid einen Wechsel an der Spitze nach der Hälfte der Amtszeit, im Falle eines Wahlsieges. Ein solches System wäre einmalig gewesen und schreckte so manchen potentiellen Wähler ab.
Der Untergang der Linken
Die Wahl zwischen Bibi und seinen Kontrahenten war weit weniger eine Wahl zwischen Rechts und Links, als eine Wahl für das Bekannte und gegen Experimente. Damit ist die israelische Bevölkerung keineswegs massiv nach rechts gerutscht. Dieser Eindruck wird u.a dadurch vermittelt, dass seit langem keine linke Partei den Premier mehr stellte. Das Problem liegt aber mehr bei eben diesen Parteien. Die „Avoda“ z.B, quasi Israels sozialdemokratische Partei, hat sich intern mehrfach zerlegt. Auch die mitte-links Partei „Kadima“, geführt durch die ehemalige Justizministerin Tzipi Liwni, konnte im Zuge des Wahlsieges 2009 keine Koalition bilden, da sich potenzielle Partner nicht überzeugen ließen. Danach folgte unmittelbar der politische Tod von „Kadima“ und Liwni. In Israel sind Koalitionen bereits seit der Gründung die Regel, nicht wie in Deutschland lange die Ausnahme. Von ihren Niederlagen hat sich der linke Block nicht mehr erholt und droht entweder ins Extreme oder in die Bedeutungslosigkeit zu gleiten.
Ein Schicksal, das der deutschen SPD und weiteren Sozialdemokraten in Europa immer stärker droht.
Die israelische Linke hat den Nahostkonflikt in den 1960er und 1970er Jahren nicht lösen können. Mögliche Lösungsansätze kommen kaum oder sind utopisch. Der Konflikt mit dem islamistischen Terror hat die Israelis stark geprägt. Man will Tachles hören, kein Wunschdenken.
Parteien der Rubrik „mitte-rechts“, worunter die national-religiösen Parteien fallen, haben sich viel besser untereinander organisiert. Auf der anderen Seite lehnt die „Vereinigte arabische Liste“, ein Bündnis von säkularen und islamischen Parteien der arabischen Minderheit in Israel, jegliche Regierungsbeiteilung aufgrund von Antizionismus ab. Für aktive arabische Israels, unabhängig von ihrer Einstellung zu Israel, sind diese Parteien immer weniger attraktiv und relevant. Da identifiziert man sich sogar mehr mit einigen national-religiösen wie der mizrahisch-sefardischen „Shas“.
Durch die fehlende Kooperation zwischen säkular-linken und arabischen Parteien geht viel Potenzial verloren.
Die Analysen
Mehrheitlich bescheinigten viele Medien Israel einen Rechtsruck. Israelis seien immer religiöser und immer nationalistischer, dies betonten die deutschsprachigen Medien ununterbrochen. Leider greift dies viel zu kurz wie oben dargelegt. Hintergründe und Entwicklungen wurden übersehen oder ignoriert. Kaum ein Staat wird ist mit solch einer permanenten Existenzbedrohung konfrontiert wie Israel! Gegen keinen Staat wird weltweit so viel gehetzt und boykottiert wie Israel, das wissen und spüren die Israelis tagtäglich. Die sozioökonomische Situation kommt hinzu.
Israel ist keine nationalistische Diktatur, sondern eine funktionierende Demokratie unter erschwerten Bedingungen. Deutsche Analysten sollten dies in Zukunft mehr beachten.
Auch jetzt, wo seit dem frühen Morgen des 04.05.2019 mehr als 300 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert wurden.
Maximilian Feldmann