Mehr als hundert Tage Hungerstreik für die Menschenrechte - Die Situation der Oppositionspolitiker in der Türkei
Unter Isolationshaft versteht man die Unterbringung von Inhaftierten eines Gefängnisses oder einer ähnlichen Einrichtung, ohne Kontakt zu anderen Mitgefangenen oder zur Außenwelt. Dies kann so weit gehen, dass selbst die Besuche naher Angehöriger oder des Anwalts für Jahre untersagt werden. Die Isolationshaft als solche ist zumeist gesetzlich nicht verankert. Menschenrechtsorganisationen verurteilen diese Art der Unterbringung von Gefangenen als Foltermethode und im Widerspruch zu den allgemein gültigen Menschenrechten nach der UN-Charta von 1948 stehend. Dennoch ist davon auszugehen, dass diese Methode weltweit nicht nur offiziell, sondern noch häufiger inoffiziell eingesetzt wird.
Leyla Güven, Abgeordnete der HDP im türkischen Parlament und Co-Vorsitzende der kurdischen Bürgerinitiative „Demokratischer Gesellschaftskongresses (DTK)“, befindet sich seit 7. November 2018 im Hungerstreik, um auf eine solche Menschenrechtsverletzung in der Türkei aufmerksam zu machen. Sie protestiert damit gegen die Haftbedingungen des Anführers der Kurdischen Arbeiterpartei PKK Abdullah Öcalan, der seit mehr als 3 Jahren keinen Besuch, auch nicht von seinem Anwalt empfangen durfte. Der kürzliche Besuch seines Bruders, der zugelassen wurde, wird von vielen als reine Augenwischerei betrachtet. Aber nur durch die Aufhebung der Isolation könne der Friedensprozess zwischen den Kurden und der Türkei wieder in Gang kommen, so die überwiegende Meinung in der Opposition.
Die PKK wird von manchen Ländern als Terrororganisation eingestuft. Aufgrund dessen waren zum Beispiel in Brüssel/Belgien 2010 legale kurdische Organisationen und Produktionsstätten des kurdischen Fernsehens mit einem Großaufgebot an Polizei durchsucht und einige Repräsentanten des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) festgenommen worden. Die Ermittlungen mündeten in einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft gegen insgesamt 40 Personen, die sie der Spendensammlung, Propaganda und Rekrutierung für die PKK beschuldigte.
Das Revisionsgericht in Brüssel stellte am 08. März 2019 nach neun Jahren letztinstanzlich fest, dass in diesem Verfahren das Antiterror-Gesetz nach belgischem Recht nicht angewendet werden könne, es keinen Prozess geben werde und alle Angeklagten von sämtlichen Anklagepunkten freizusprechen seien. Die Verteidigung hatte in Frage gestellt, ob es sich bei der PKK überhaupt um eine „terroristische“ Organisation handle. Das Gericht folgte in seinem Urteil damit in weiten Teilen der Auffassung der Verteidigung, dass der Konflikt in der Türkei zwischen den Kurden und der türkischen Armee keine Terrorismusangelegenheit sei, sondern ein Bürgerkrieg zwischen einem Staat und einer Gruppe, die es als notwendig erachtet, sich mit Gewalt gegen Diskriminierung und Unterdrückung zu verteidigen. Der Konflikt habe eine hinreichende Intensität, um als Krieg angesehen zu werden und nicht als terroristische Aktivität oder bewaffnete Zwischenfälle. Die kurdische Guerilla sei hinreichend organisiert und strukturiert, um als bewaffnete Kraft und nicht nur als eine irreguläre Gruppe bezeichnet zu werden. Deshalb müsse das Kriegsrecht und nicht das Anti-Terror-Gesetz angewendet werden. So könnten Angriffe auf militärische Ziele nicht als kriminelle Handlungen bewertet werden. Bereits im November hatte der Europäische Gerichtshofs in Luxemburg festgestellt, dass die Listung der PKK auf der EU-Terrorliste in den Jahren 2014 bis 2017 unrechtmäßig gewesen sei. (Quelle: Pressemitteilung AZADÎ e.V.)
Auch wenn die Hungerstreikenden in der breiten Medienlandschaft bisher wenig an Präsenz gewinnen konnten, so hat ihr Thema zumindest am 16. Januar 2019 auf der 73. Sitzung des Deutschen Bundestag Einzug gehalten. Auf die Frage von Michel Brandt (DIE LINKE) welchen Wissenstand die Bundesregierung über den gesundheitlichen Zustand des auf der Gefängnisinsel Imrali in der Türkei inhaftierten Abdullah Öcalan habe und in wie weit sich die Bundesregierung dafür einsetzen werde, dass eine Delegation des Antifolter-Komitees des Europarates Abdullah Öcalan und die (damals noch) inhaftierte Abgeordneten der Großen Nationalversammlung Leyla Güven, besuchen kann, antwortete Staatsminister Michael Roth wie folgt:
„Für die Bundesregierung steht fest, dass die Türkei als Mitglied des Europarates der Einhaltung der Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention auch in Bezug auf Inhaftierte verpflichtet ist. Diese Erwartung macht die Bundesregierung in bilateralen Gesprächen wie auch gemeinsam mit ihren Partnern der EU nachdrücklich deutlich. Zuletzt tat dies die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechte, Dr. Bärbel Kofler. Die Bundesregierung hat eine klare Haltung angesichts des Vorgehens der türkischen Justiz gegen Teile der demokratischen Opposition in der Türkei. Der türkischen Regierung kann nicht daran gelegen sein, den Konflikt mit Teilen der demokratisch legitimierten Opposition weiter anzufeuern. Die Bundesregierung hat diese Haltung sowohl gegenüber der türkischen Regierung als auch in multilateralen Foren wie der OSZE und dem Europarat bekräftigt. Darüber hinaus nutzt die Bundesregierung – wann immer möglich – das Mittel der Prozessbeobachtung, um sich über den Fortgang der Verfahren zu informieren. Darüber hinaus steht die Bundesregierung in regelmäßigem Austausch mit Vertretern der HDP. Im Falle des inhaftierten Gründers der PKK, Abdullah Öcalan, verfügt die Bundesregierung über keine eigenen Erkenntnisse zum aktuellen Gesundheitszustand. Ihr sind die Pressemeldungen über den Besuch durch seinen Bruder Mehmet Öcalan am 12. Januar bekannt, denen zufolge sich Herr Öcalan in guter Verfassung befindet. In seinem Bericht aus dem vergangenen Jahr äußert das Antifolter-Komitee klare Kritik an der Abschottung der auf Imrali Inhaftierten. Die türkische Regierung wird darin dazu aufgerufen, Besuche von Verwandten und des Rechtsbeistandes zu ermöglichen und Beschränkungen des Umgangs der Häftlinge untereinander abzubauen. Die Bundesregierung begrüßt diese Forderungen.“ (Quelle: Stenografischer Bericht der 73. Sitzung des Bundestages)
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates widmete sich in ihrer Debatte am 24. Januar 2019 ebenfalls diesem Thema. Sie bekräftigte, dass eine politische Opposition innerhalb und außerhalb des Parlaments sowie die Meinungsfreiheit der Parlamentsmitglieder wesentlicher Bestandteil einer gut funktionierenden Demokratie sind. Sie erinnerte daran, dass die parlamentarische Immunität, gemäß der Resolution 1601 aus dem Jahr 2008 sowie der Venedig-Kommission ein grundlegender Schutz für die Unabhängigkeit gewählter Vertreter ist, die es ihnen ermöglicht, ihre demokratischen Funktionen ohne Angst vor Einmischungen durch die Exekutive oder die Justiz auszuüben.
In diesem Zuge erinnerte die Versammlung über die zunehmende Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen in der Türkei und die sich verschlechternde Situation der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte.
Sie brachte insbesondere ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass über 154 Parlamentarier im Mai 2016 ihrer Immunität beraubt wurden. Unverhältnismäßig stark davon betroffen war die Demokratische Volkspartei HDP. Auch die zwischen Juli 2016 und Juli 2018 im Ausnahmezustand erlassen Dekrete, sowie die Verfassungsreform 2017, die übereilte Durchführung der vorgezogenen Präsidentschaft- und Parlamentswahlen im Juni 2018 haben ihre Auswirkungen auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit hinterlassen.
Das Wesen der parlamentarischen Arbeit bestehe darin, alle Fragen von öffentlicher Bedeutung zu behandeln, einschließlich derjenigen, die sensibel oder umstritten sind.
In diesem Zusammenhang brachte die Versammlung ihre Besorgnis über die Inhaftierung von oppositionellen Parlamentariern und ehemaligen Parlamentariern in der Türkei zum Ausdruck. Sie bedauerte zu tiefst, dass die Politiker gezwungen seien, auf Hungerstreik als ultimatives Mittel zurückgreifen zu müssen, um die Aufmerksamkeit auf ihre Notlage zu lenken, wenn es keine echte politische Debatte und keinen echten Dialog mehr gibt. Es wurde darauf hingewiesen, dass sich die Situation der Oppositionspolitiker in einem Kontext verschlechtere, der durch kontinuierliche restriktive Maßnahmen der Behörden gekennzeichnet sei, um insbesondere Journalisten, Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Wissenschaftler und andere abweichende Stimmen zum Schweigen zu bringen.
Aus diesem Grunde forderte die Versammlung die türkischen Behörden unter anderem dazu auf, die Rechte der Oppositionspolitiker in einer Demokratie, einschließlich der Meinungs-, Vereinigungs- und der Versammlungsfreiheit uneingeschränkt zu achten, dien Schutz der parlamentarischen Immunität auch für die Opposition zu gewährleisten und den Empfehlungen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Bezug auf Abdullah Öcalan und andere Gefangene zu folgen.
Ebenso soll die Türkei die Verfassungsreformen von 2017 überprüfen, um ein angemessenes Gleichgewicht und eine wirksame Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative wiederherzustellen. Die Fortschritte der von der parlamentarischen Versammlung geforderten Punkte sollen überwacht werden.
Daniela Hofmann
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
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