Rick, der Republikaner
Es ist mein letzter Tag in Chicago, bevor ich Richtung Washington D.C. aufbreche, um am IVLP (International Visitor Leadership Program) teilzunehmen. In meinem vom Charm der 20er/30er Jahre geprägten Hotel nehme ich mein morgendliches Frühstück zu mir, welches dieses Mal wieder aus reichlich goldgelbbraunen Pankaces besteht und unendlich vielen Tassen Kaffee. Das mit dem Kaffee liegt daran, dass ich vom Service immer wieder gefragt werde, ob nachgeschenkt werden soll. Zu schnell gewöhnt man sich daran, was, in meinem Fall, in einem Koffeinüberschuss mündet. Dass dies nicht gerade gesund ist, dürfte dem durchschnittlich gesundheitsbewussten Bürger klar sein. Doch bin ich auch über die aufmunternde Wirkung des dunklen Heißgetränks froh, wenn es darum geht, anderen zuzuhören. So z.B. Rick, dem konservativen Republikaner, der gleichzeitig mit Demokraten befreundet ist.
Rick ist über 60, gehört der Nachkriegsgeneration (Babyboomer) an und hat drei Kinder. Als technischer Mitarbeiter in der Stahlindustrie hat er viele Jahre in Deutschland verbracht. Seine drei Kinder bezeichnet er als "liberal" bzw. "progressiv", was ein Hinweis ist, dass sie eher den Demokraten zugeneigt sind. Beim Frühstück komme ich mit dem Familienvater ins Gespräch. Anfangs ging es noch um das Wetter und den scharfkalten Wind in Chicago, bevor wir das alles dominierende Thema angingen: die Wahlen in den USA.
Das, was mir Rick mitzuteilen hat, ist für mich äußerst interessant. Schließlich habe ich bisher fast "ausschließlich" nur Trumpisten getroffen, wie ich die Trump-Fans inzwischen nenne. Hierbei sollte ergänzt werden, dass sehr viele Amerikaner mit christlich - nahöstlichen Wurzeln unter meinen Gesprächspartnern waren, die ein äußerst schwieriges Verhältnis zum Islam haben und in Trump den "Heilsbringer" sehen. Jedenfalls ist Rick kein Trumpist. Er mag ihn einfach nicht. Der Republikaner, dessen Kinder Demokraten sind, moniert seine Haltung zu Frauen, seine moralische Kompetenz und die Art und Weise, wie er sich nach außen gibt. Den jetzigen Präsidenten mehr als Entertainer betrachtend erklärt mir mein Gegenüber, dass es den meisten Amerikanern ziemlich egal ist, wie sich der mächtigste Politiker der Welt verhält, solange dieser liefert. Und für viele liefert er scheinbar, wenn es um die Börse geht, die traditionell eng mit der Altersabsicherung der US-Bürger verwoben ist. Er liefert, wenn es um den Abzug von US-Truppen aus dem Ausland geht. Er liefert, wenn er sich, wie versprochen, aus Kriegen heraushält.
Und wenn man Rick Glauben schenken darf, und ich glaube ihm, dann ist es den meisten Amerikanern ziemlich egal, was der Rest der Welt über den aktuellen und wahrscheinlich auch nächsten Präsident der USA denkt. Auch wird es den meisten Amerikanern egal sein, ob ein Tweet des mächtigsten Politikers der Welt eine Krise im Nahen Osten, Asien oder Europa auslöst, die kurzfristig den US-Bürger nicht interessiert, aber langfristig dennoch einen negativen Effekt hat.
Am Beispiel des Mindestlohns in den Staaten, welcher 7.20 $ die Stunde beträgt, was einem jährlichen Einkommen von ca. 16.000 $ im Jahr entspricht, zeigt mir mein Gesprächspartner auf, was den US-Bürger aufwühlt. Es kommt die Frage auf, wie jemand, der 16.000 $, 20.000 $, 30.000 $ im Jahr verdient, ständig Angst um seinen Arbeitsplatz, dem sozialen Abstieg, dem Verlust des Hauses hat, sich denn Gedanken um Außenpolitik machen soll?
Auf meine Frage hin, ob es US-Bürgern denn völlig egal ist, was im Rest der Welt passiert, beantwortete Rick meine Frage mit einem klaren "Ja". Solange die Mittelschicht kleiner wird, die Schere zwischen Arm und Reich zunimmt, man als Berater bei einem Finanzunternehmen Millionen im Jahr verdient, ein Ingenieur allerdings nur ein Bruchteil dessen, stimmt etwas nicht.
Der Kampf um das eigene Überleben, die eigene Sicherheit, das Erreichte, das Gefestigte, die Substanz spielt eine Rolle.
Da kann es einem egal sein, ob ein Tweet irgendwo im fernen Osten einen lokalen Konflikt auslöst. Es interessiert einfach keinen, solange es nicht vor der Haustüre passiert. Und solange ein Politiker verspricht die erodierende "Substanz" zu bewahren, auf welchem Weg auch immer, zumindest kurzfristig, wird dieser auch gewählt.
Egal ob er nun Ehebruch begangen hat, es mit der Wahrheit nicht immer ernst nimmt, alternative Fakten aus dem Hut zaubert oder eine Frisur hat, die für Schlagzeilen sorgt.
Die Amerikaner haben Existenzsorgen. Und für viele ist Trump die, zugegebenermaßen manchmal unangenehme, einzige Lösung, solange keine anderen Kandidaten überzeugen.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Hillary Clinton, bei den Republikanern sowieso, aber auch bei den Demokraten, scheinbar nicht sehr beliebt ist.
Ich verabschiede mich von Rick und bedanke mich für das offene und herzliche Gespräch mit dem mehrfachen Familienvater, der es sich nicht nehmen ließ, die deutsche Ingenieurskunst über den Klee zu loben.
Danke Rick... Ich wünsche Dir und allen Amerikanern eine friedliche und möglichst unpopulistische Wahl. Auch wenn ich, was die Schärfe populistischer Töne angeht, an meinem eigenen Wunsch zweifle.
Simon Jacob,
USA Chicago,
7. Februar 2020
-------------------------
Rick, the Republican
It is my last day in Chicago before I leave for Washington D.C. to participate in the IVLP (International Visitor Leadership Program). In my hotel, which is characterized by the charm of the 1920s/30s, I have my morning breakfast, which once again consists of plenty of golden-brown pancaces and endless cups of coffee. The reason for the lots of coffee is that I am repeatedely asked by the service if they should refill. Too fast one gets used to it, which, in my case, results in an overdose of caffeine. The average health-conscious person should be aware that this is not really healthy. But I am also glad about the stimulating effect of the dark hot drink when you have to listen to others. For example, Rick, the conservative Republican who is also friends with Democrats.
Rick is older than 60, belongs to the post-war generation (baby boomers) and has three children. He has spent many years in Germany as a technical employee in the steel industry. He describes his three children as "liberal" or "progressive", which is an indication that they are more in favour of the democrats. Having breakfast, I get into conversation with the father. At the beginning we talked about the weather and the cold wind in Chicago, before we went on to the all-dominant topic: the elections in the USA.
What Rick has to tell me is extremely interesting for me. After all, up to now I have just met " solely" Trumpists, as I call the Trump fans by now. Here it should be added that very many Americans with Christian - Middle Eastern roots were among my conversation partners, who have an extremely difficult relationship to Islam and who consider Trump to be the "saviour". In any case, Rick is no Trumpist. He simply does not like him. The Republican, whose children are Democrats, criticizes his attitude towards women, his moral compass and the way he presents himself to the world. Considering the current president more an entertainer, my counterpart tells me that most Americans don't care much about how the world's most powerful politician behaves as long as he delivers. And for many, he seems to deliver when it is about the stock market, which has traditionally been closely interwoven with the pensions of US citizens. He delivers when it is about the withdrawal of US troops from abroad. He delivers when he is keeping out of wars, as promised....
And if you can trust Rick, and I believe him, most Americans don't really care what the rest of the world thinks about the current and probably next president of the USA. Most Americans also won't care if a tweet from the most powerful politician in the world triggers a crisis in the Middle East, Asia or Europe which in the short term doesn't interest the US citizen, but in the long term has a negative effect.
Using the example of the minimum salary in the States, which is $7.20 an hour, representing an annual income of about $16,000 a year, my dialogue partner explains to me what upsets the US citizen. The question occurs how someone who earns $16,000, $20,000, $30,000 a year, who is constantly worried about his job, the social downturn, the loss of the house, should worry about foreign policy?
In response to my question about whether US citizens really don't care what happens in the rest of the world, Rick answered with a definite "yes". As long as the Middle Class is getting smaller, the gap between rich and poor is spreading up, as long as a consultant of a financial company earns millions a year, but an engineer only a percentage of that, something is wrong.
The struggle for one's own survival, one's own security, the achieved, the consolidated, the substance plays a major role.
So it doesn't matter if a tweet triggers a local conflict somewhere far away in the East. Nobody cares as long as it doesn't happen right next door. And as long as a politician promises to preserve the eroding "substance" in any way, at least in the short term, he will be elected.
Regardless of whether he has committed adultery, is not always serious about the truth, pulls alternative facts out of the hat or has a hairstyle that is making headlines.
The Americans fear for their existence. But as long as no other candidates are convincing, Trump is for many the, admittedly sometimes unpleasant, but only solution. In this context, it should be mentioned that Hillary Clinton is apparently not very popular with the Republicans anyway, but also with the Democrats.
I say good-bye to Rick and thank the father of several children for the open and warm conversation, who did not miss the opportunity to praise the German art of engineering over and over again.
Thanks, Rick... I wish you and all Americans a peaceful and fairly unpopulistic election. Although I have my doubts about the sharpness of populistic speech.
Simon Jacob,
USA Chicago,
07th February 2020
Oannes Consulting Vortragsreihen
Simon Jacob steht für Lesungen, Vorträge und Seminare zur Verfügung. Für Vorträge zu Project Peacemaker und weiteren Themen wie beispielsweise Geopolitik Naher Osten oder Digitalisierung, Fakenews und Cyberwar bitte den Links folgen
Anfragen sind zu richten an:
Oannes Consulting - Medien & Kommunikationsberatung GmbH, Rechte Brandstr. 34, 86167 Augsburg
Frau Daniela Hofmann
Fon: +49 – (0) 89 – 24 88 300 50
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Buchtipp:
Seit Jahren reist Simon Jacob durch Länder wie Syrien, Irak oder Iran. Als Angehöriger eines wichtigen Clans gelangt er an Orte, die für andere nie zugänglich waren. Dort spricht er mit Menschen, immer auf der Suche: der Suche nach Frieden, auch seinem eigenen Inneren. Seine Reise schildert auch die Schrecken dieser Kriegsgebiete. Aber mehr noch zeigt dieses Buch, dass und wie Friede wirklich möglich ist. Eine Botschaft, die vor allem in diesen Tagen Mut und Hoffnung macht und motiviert, zu kämpfen für eine bessere Zukunft und für etwas, was Simon Jacob ausgerechnet im Irak und in Syrien wiedergefunden hat: Menschlichkeit.
Bestellbar über